Vor 30 Jahren wurde in Deutschland der erste digitale Banner auf einer Website geschaltet – seitdem hat die Onlinewerbung weltweit einen unvergleichlichen Siegeszug hingelegt. Warum sie dennoch nur im Mix mit anderen Medien funktioniert, erklärt Mr. Media Thomas Koch in der neuesten Folge seines einzigartigen Media-ABC.
1995 waren viele von uns live dabei, als Compuserve es erstmals auf 30.000 Vertragsnehmer brachte und man zwar etwas naiv, aber dafür umso aufgeregter das Internet-Zeitalter ausrief. Der Vorläufer der DMEXCO hieß OMD und fand noch in Düsseldorf statt. Zum Wort des Jahres wurde „Multimedia“. Die Menschen zahlten an der Kinokasse bares Geld, um die Cannes-Rolle zu sehen. Und Forrest Gump wurde mit sechs Oscars ausgezeichnet. In der Prä-Internet-Ära zählte man etwa 2.000 bis 3.000 Werbebotschaften, mit denen jeder Verbraucher jeden Tag konfrontiert wurde. Die Welt war einigermaßen in Ordnung.
Historiker bemerkten recht früh, dass dieses Internet weitaus größere Disruptionen auslösen würde als seinerzeit die Erfindung des Buchdrucks. Plötzlich hatte jede:r alles Wissen der Welt zur sofortigen Verfügung. In Wirklichkeit guckte man aber stattdessen lieber Katzenvideos. Und sehr viel Werbung. Die Zahl der Botschaften, die man uns jeden Tag zumutete, stieg laut Experten auf 10.000 bis 13.000. Nur gut, dass wir das nicht alles wahrnehmen und einfach an uns abprallen lassen. Unser Gehirn würde sonst implodieren.
Auch wenn die Menschen heute Onlinewerbung angeblich hassen wie nie zuvor, würden sie dennoch ungerne auf die Vorzüge der Digitalisierung verzichten wollen. Alles, was man sucht, finden zu können. Unzählige Angebote jederzeit vergleichen zu können. Alles, was man sich leisten kann, zu kaufen und an die Haustür liefern zu lassen. Alles streamen, was man sehen will. Alles, was man mitteilen will, von einer KI schreiben und visualisieren zu lassen. Und das alles für den lächerlichen Preis, dass man Tag und Nacht von Werbung verfolgt und digital bis zur Bewusstlosigkeit zugespachtelt wird.
Das Werbe-Paradies muss noch warten
Zugegeben, man hatte uns versprochen, dass wir nur noch Werbung personalisiert ausgeliefert bekommen, die wir uns wünschen. Weil sie für uns vermeintlich, so die digitalen Heilsbringer, unfassbar relevant sein wird. Das hat bis heute, 30 Jahre später, nicht ganz geklappt, aber man arbeitet angeblich weiterhin mit Hochdruck daran. Schon wegen der sogenannten Customer Journey und der ominösen User Experience.
Und Bäm!, keine 30 Jahre später, verschlingen die digitalen Medien schon die Hälfte der Werbespendings. Onlinewerbung ist aber weiterhin so jungfräulich, dass ihre Protagonisten ernsthaft glauben, es mit dem ersten und einzigen Medium zu tun zu haben, dass nicht über Schwächen verfügt, sondern nur über Stärken: Das erste Medium, das alles kann. Das gab es nie und das gibt es auch online natürlich nicht. Das müssen wir den digitalen Jüngern noch beibringen.
Was bleibt, ist dennoch eine für Marketer und Mediastrategen faszinierende Medienvielfalt, die an Chancen nicht zu überbieten ist. Denn wo die traditionellen Medien TV, Print, OOH und Audio ihre Stärken bei Reichweite, Awareness und Markenbildung besitzen, werden sie nun ergänzt durch zahlreiche digitale Medienformen wie Search, DOOH, Display und Social Media, die weiter hinten im Marketing Funnel wirken. Das ermöglicht eine Balance zwischen Branding und Performance, die es zuvor nie gab. Mit Medien wie (D)OOH, die sogar eine Brücke zwischen beiden Welten bauen.
Eine Weltmarke wie Nike hat diese Balance ignoriert und voll auf Performance gesetzt, als könnte man performen, ohne die Marke zu pflegen. Das tat weh. Es kostete Absatz, Umsatz, Börsenwert – und den CEO seinen Job. John Donahoe geht als erster CEO in die Geschichte ein, der wegen einer Unwucht im Media-Mix den Hut nehmen musste.
So wichtig ist es, die Welt der traditionellen und der digitalen Medien zu orchestrieren. Deshalb nennt die St. Galler Business School eine Mediastrategie eine gelungene Kombination aus Wissenschaft und Kunst. Und deshalb steht der Buchstabe „O“ auch für – Optimierung.