Der Kiezgänger mit dem Saxophon: Hartwig Keuntje über den kreativen Flow in DOOH

Hartwig Keuntje gehört zu den prägendsten Köpfen der deutschen Werbebranche. Inspiration für seine ikonischen Astra-Kampagnen holte er sich direkt auf dem Kiez. Heute treiben ihn vor allem zwei Themen: die Weiterentwicklung der digitalen Außenwerbung und K-Pop.

Was wäre eigentlich aus Hartwig Keuntje geworden, hätte er nicht Karriere in der Werbung gemacht? Vielleicht ja Musiker. So abwegig ist das nicht. Keuntjes Herz schlägt für Hardbop, eine Weiterentwicklung des Bebop. Dann und wann kann man den Erfinder der Astra-Werbung in Hamburg mit seinem Tenorsaxophon hören, etwa wenn er mit seiner Band „Neue Fauna“ auftritt. Vor 40 Jahren, mit Mitte 20, schwankte er tatsächlich ein bisschen: Musik oder Werbung? „Ich hatte die Musik da aber schon ein bisschen schleifen lassen, war viel zu sehr im Job eingespannt“, meint er rückblickend. So sehr, dass es ihn Ende der 90er-Jahre – er war

Mit Astra fing alles an: Die Biermarke hält Philipp und Keuntje von Beginn an die Treue.

damals noch angestellt bei Jung von Matt – ausknockte. Tinnitus. Burnout. Raus. Ein halbes Jahr verschwand er von der Bildfläche und meldete sich im Januar 1999 mit Philipp und Keuntje zurück. Astra war schon damals sein Bier. Es zählte zu den Startkunden der Agentur und hält ihr bis heute die Treue. Neben Sixt mit Sicherheit einer der am längsten laufenden Kampagnen in Deutschland überhaupt.

Das bodenständige Bier aus Hamburg – Keuntjes Arbeitsweise kann man daran am besten erklären: Tief in das Thema einbuddeln und dann wieder Abstand gewinnen. Erst runter in den Maschinenraum und dann hoch auf die Brücke, um loszulassen und den strategischen Weitblick zu schärfen. Für Astra ist er selbst tagelang mit

Kamera und Notizblock auf dem Kiez herumgestromert, um Inspiration für die nächsten Motive zu finden. Zwei Männer, die beseelt aus der Peepshow laufen und dazu der Spruch „Das Bier war klasse – Astra. Was dagegen?“ Groß plakatiert auf den OOH-Flächen in und um Hamburg. Nicht selbstreferentiell, sondern nah an den Menschen. Für Hartwig Keuntje war das immer das Mantra für gute Werbung.

K-Pop als Motor für DOOH

Doch Außenwerbung ist inzwischen immer öfter digital. Es hat seine eigenen Mechaniken. „Digital Out of Home zwingt die Kreation zur Konsequenz, Konzentration und Reduktion. Das Gleiche gilt seit jeher für das klassische Plakat. Doch die Möglichkeiten der Bewegung und der Datennutzung bieten ganz neue Chancen, die oft noch gar nicht voll genutzt werden“, meint Keuntje. Das Medium ist ihm ans Herz gewachsen, er ist auch Juror erster Stunde der DOOH Creative Challenge, gibt in der IDOOH Academy Webinare zum Thema Kreation in DOOH. „Die Fragmentierung der Medienlandschaft führt dazu, dass Big Ideas immer schwerer zu erschaffen sind und seltener durchdringen. Starke Inszenierungen, wie sie DOOH liefert, sind deshalb wichtiger denn je.“ Es herrscht also noch Aufklärungsbedarf.

Die digitale Außenwerbung ist aktuell eines der wichtigsten beruflichen Projekte von Keuntje. Seine Agentur hatte er schon 2019 an fischerAppelt verkauft. Kurz vor Corona und bevor die wirtschaftliche Stagnation sich breit machte. Rückblickend wahrscheinlich nicht der schlechteste Zeitpunkt für den Deal. Für Keuntje heißt das: viel mehr Zeit für seine Hobbys. Schwimmen, surfen, Radfahren. Und natürlich das Saxophon. Aber das ist mehr als ein Hobby. Für den Kreativen ist es essentiell. „Der Flow, der hier entsteht, wenn man on the fly improvisiert, ist durch nichts zu ersetzen.“

In Sachen Werbung zählt er immer noch zu den inspirierendsten Gesprächspartnern, weil er Trends und Entwicklungen der Branche genau analysiert und ein Gespür für die Themen von morgen hat. K-Pop etwa hält er für ein Phänomen, das die Gesellschaft und unsere Branche noch viel stärker prägen wird als bisher. „Die jetzt 15- bis 18-Jährigen haben einen ganz anderen Zugang zu Themen. Viel spielerischer und nicht so verkopft. Man sieht das ja schon an der Ästhetik der Mangas und Animes. Die klassischen deutschen Kreativen unterschätzen, was da auf uns zukommt.“

Für die digitale Außenwerbung könnte das eine neue Epoche einläuten. Eine völlig neue Verzahnung von Kultur, Technologie und Marketing, die neue immersive Markenerlebnisse schafft. In Asien ist das schon Realität. Und damit dann vielleicht auch ein Fall für die IDOOH Academy und Hartwig Keuntje.

Let’s Talk DOOH: Stefan fragt. Hartwig antwortet.

  1. Was hat dich zuletzt so richtig vor einem DOOH-Screen gefesselt?
    Die spektakulärste Out of Home-Inszenierung der vergangenen Monate: der Trump-Epstein-Skandal als Projektion auf die Außenwand von Windsor Castle. So gut, dass es noch nicht einmal eine Headline braucht. Aber dafür umso mehr Mut.
  2. Du bekommst ein DOOH-Netz, 7 Tage, kein Budgetlimit. Was stellst du an?
    Ich würde sämtliche Flächen in einer bewusstseinsverändernden Spezialfarbe strahlen lassen, deren bloßer Anblick alle Menschen für ein Weilchen freundlich und zufrieden macht.
  3. Welcher Trend wird DOOH den nächsten großen Schub geben?
    Kurzfristig die schnell wachsenden Möglichkeiten der Datennutzung und der Digital Creative Optimization. Langfristig Augmented Reality und damit virtuelles DOOH überall im urbanen Raum.
  4. Für welchen Kunden wolltest Du schon immer mal arbeiten und warum?
    Für die Stadt Bielefeld, die wohl durchschnittlichste Stadt Deutschlands. Wenn jemand eine sensationelle und einzigartige Image-Kampagne braucht, dann doch wohl die.
  5. Aus Niederlagen lernt man am meisten: Welches Projekt hast Du so richtig versemmelt und was hast Du für Dich daraus gezogen?
    Das war eine Pitch-Präsentation für ein Kopfschmerzmittel. In meinem Strategie-Vorlauf lautete das wichtigste Chart: „Warum ist die Pharma-Werbung so schlecht? Vielleicht liegt’s ja an den Entscheidern!“ Ich blickte in versteinerte Gesichter, der Vorstand sagte hinterher nur: „Eine glatte 6, schönen Tag noch!“ Hinterher im Taxi haben wir wahnsinnig gelacht, aber seitdem bin ich der Branche aus dem Weg gegangen.
  6. Wenn DOOH ein Song wäre: Wie würde er heißen?
    „Wenn es dunkel und kalt wird in Berlin“ von Element of Crime. Passt gut zu anheimelnd leuchtenden DOOH-Screens in herbstlicher Abenddämmerung.
  7. Und wen sollten wir Deiner Meinung nach in unserer Serie „Let’s talk DOOH“ als nächstes vorstellen? Warum?
    Oliver Voss, weil er ungeheure Begeisterungsfähigkeit für DOOH mitbringt. Und weil er weiß, was ein gutes Plakat ausmacht.

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