In der digitalen Welt messen wir alles – und verstehen doch oft nichts. Media-Experte Thomas Koch blickt in seinem „Media-ABC“ auf den Buchstaben „V“ wie Views und Visits und entlarvt die digitale Besoffenheit der Branche. Warum KPIs uns eher verwirren als helfen – und was wirklich zählt, wenn Werbung erfolgreich sein soll.

So langsam biegen wir mit unserem Media-ABC in die Zielgerade ein und kommen zum Buchstaben „V“, für den ich „Views und Visits“ ausgewählt habe. Sie stehen stellvertretend für die zahlreichen KPIs, die uns im digitalen Medienraum zu ersticken drohen. Während ein Visit beschreibt, wenn ein Nutzer innerhalb eines Angebots eine Page Impression erzeugt, verwenden wir den Begriff View unter anderem um zu messen, wie häufig Nutzer bestimmte Unterseiten einer Website aufrufen. Ein Pageview passiert jedes Mal, wenn ein Nutzer eine Seite lädt.

Typisch für digitale Begrifflichkeiten ist, dass sie auch beim zweiten Lesen nicht ganz verständlich sind. Noch komplizierter wird es, wenn ein Digital Native versucht, uns seine Welt der KPIs zu erklären. Man spricht daher von „digitaler Besoffenheit“, ein vielzitierter Begriff, der 2016 von Christof Baron geprägt wurde. Zehn Jahre später wanken wir immer noch benommen durch die digitale Medienwelt.

Keine Medien versorgen uns mit so vielen KPIs wie die digitalen. Beim Umgang mit Display und Social Media wird man förmlich überschüttet mit unfassbaren zwei Dutzend KPIs, die um unsere Aufmerksamkeit ringen. Da entsteht zwangsläufig der Eindruck einer ungeheuer präzisen Messbarkeit von allem und jedem.

Frau oder Mann? Das ist hier die Frage

Dabei können einem die digitalen Kanäle nicht einmal sicher sagen, ob wir eine Frau oder einen Mann vor uns haben. Die Wahrscheinlichkeit liegt bei 50 Prozent – also mit der gleichen Präzision, als würden wir eine Münze werfen. Eine ähnliche Probabilität erleben wir, wenn wir wissen wollen, ob unsere Werbung von einem Menschen aus Fleisch und Blut oder einem schädlichen Bot, ein im Internet aktives Softwareprogramm, angesehen wurde, das am Ende nur unser Geld stehlen will. Ad Fraud gibt es hier an jeder Straßenecke.

Da wir im Internet also nicht wissen, was wir da so hypergenau messen, ist es relativ unwichtig, wie viele Views, Visits, Impressions, CTRs, Likes, Ansichten oder angebliche Reichweiten wir erzeugen. Entscheidend, und diese Erkenntnis setzt sich zunehmend durch, sind daher nicht diese ganzen Media-KPIs, sondern die individuellen Business-KPIs jedes Werbekunden: Umsätze, Marktanteile, Bon-Höhen, Neukundengewinne oder was auch immer ihn bewegt.

Mediaversteher auf der Suche nach dem Hebel

Unsere Aufgabe als Mediaversteher ist es, den Hebel zum Erreichen der Business-Ziele zu finden. Awareness, die Steigerung der Markenbekanntheit, setzt Reichweite voraus. Ok, der war einfach. Wie aber steigern wir die mentale Verfügbarkeit einer Marke, um ihr einen Wettbewerbsvorteil am Regal zu verschaffen? Das erweist sich als etwas schwieriger, bedingt es doch, dass wir die Marke an mehrere Stellen der Customer Journey platzieren – bis unmittelbar vor den Kauf.

Wichtig ist das Verständnis der Media-Metriken, die Reichweite, Sichtbarkeit, Awareness oder Performance triggern. Ad Impressions sind keine Reichweite. Das bringen viele Digitalplaner immer noch durcheinander. Ad Impressions sind nichts als lapidare Bruttokontakte. Reichweite ist eine der ausgewiesenen Schwächen von Display und Social Media. Um eine hohe oder gar überlegene Reichweite zu erzeugen, benötigt man immer ein Mix aus verschiedenen Medien.

Die Media-Kontakte dagegen sind leider meist Kontaktwahrscheinlichkeiten. Es sei denn, man betrachtet die Kontakte für DOOH in der Public & Private Screens-Studie. Hier handelt es sich um Werbemittelkontakte, das heißt die Befragten geben an, nicht nur die Screens, sondern Werbung auf diesen Screens gesehen zu haben. Das ist gut zu wissen.

Entscheidend sind die Business-Ziele. Wir hebeln sie mit Mechanismen, die uns die Medien und der Mix aus Medien liefern. Je besser wir das verstehen und je besser wir verstehen, die Medien zu orchestrieren, desto größer der Erfolg. Und Erfolg ist immer das richtige Ziel.

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