Alle reden von Blockchain, Predictive Behavioral Targeting und Programmatic Creativity – und verstehen doch nur Bahnhof. Das DMI-Treffen machte klar: Beruflich gesehen ist Technologie maximal die schönste Nebensache der Welt. (Foto: v.l.o. im Uhrzeigersinn: Die Referenten Hendrik Menz, Stefan Knoke, Ingo Rübe, Christoph Nann)
Das Schöne an der Kommunikationsbranche ist ja: Es ist immer ein bisschen so wie Kindergarten – im positiven Sinne verstanden natürlich. Ähnlich wie Weihnachten bei den Kleinen werden auch wir Jahr für Jahr reichlich beschenkt (bzw. beschenken uns selbst). Und klar: Je älter wir werden, desto technisch ausgefeilter die Gaben. Big Data, Smart Data, Programmatic, Machine Learning, KI. Wie damals bekommen wir auch jetzt beim Auspacken der neuen Präsente leuchtende Augen, und die Spielzeuge aus den vorherigen Jahren geraten immer ein bisschen in Vergessenheit. Tja, und so ähnelt unser Zustand bisweilen jenen Kids, die zwar behänd mit Spielkonsole und Smartphone rumdaddeln, aber nur mit Mühe und Not schwerst atmend einen Baum raufklettern können.
Bullshit-Poster bleibt Bullshit-Poster
Wie wir wissen, braucht es in einer solchen Situation dann und wann mal einen mahnenden Appell, um das Gleichgewicht zwischen grassierender technologischer Euphorie und vorhandenem, aber etwas unterentwickelten Spieltrieb – wir nennen das ja Kreativität – wieder sicherzustellen. Das vergangene DMI-Treffen im Düsseldorfer Dreischeibenhaus war ein solcher. Das lag wesentlich auch an Christoph Nann, Inhaber von FCB Hamburg, der hier zum Thema Kreativität und DOOH referierte. Die steigende Technologie-Gläubigkeit zweifelte er auf wohltuend pragmatische Art an: Trotz gestiegener Möglichkeiten bleibe ein Bullshit-Poster eben immer noch ein Bullshit-Poster, so seine Überzeugung (der übrigens keiner widersprach).
Mehr noch: Viele der propagierten Errungenschaften entpuppen sich für DOOH nur auf den ersten Blick als ein Vorteil, auf den zweiten manchmal sogar als kontraproduktiv. Beispiel Programmatic: Standardisierte Motive, bei denen lediglich die Produkte ausgetauscht würden, führen in der Praxis häufig zu minderwertiger Kreation. Beispiel Targeting: Die Individualisierung von Werbemitteln muss in Frage gestellt werden, wenn 100 verschiedene Personen an einer Werbefläche stehen bzw. binnen fünf Minuten an ihr vorbei gehen. Beispiel Vernetzung: So verlockend die Kombination von DOOH und Mobile auch sei, in der Praxis sei dies noch viel zu komplex. Sein Fazit: „Überall dort, wo sich technologischer Wandel beschleunigt, leiden häufig die Inhalte“. Kreative müssen die technischen Möglichkeiten kennen, doch Technologie kann im Gegenzug nie der Treiber für bessere Kreation sein.
Kreativität: größter Treiber für Werbeerfolg
Schützenhilfe bekam Nann in Düsseldorf erstaunlicherweise aus einem Lager, das überwiegend nicht gerade für eine grundsätzliche Technologie-Skepsis bekannt ist: Hendrik Menz ist Direktor Kreation bei Pilot Hamburg, immerhin der zweitgrößten inhabergeführten Mediaagentur Deutschlands. „Kreativität ist der größte Treiber für den Erfolg von Werbemitteln“, meinte Menz und zitierte dabei eine Studie nach der Kreativität zu 47 Prozent zum Werbeerfolg beitrage. Zum Vergleich: Der Markenname kommt nur auf einen Anteil von 15 Prozent. Insgesamt, so Menz, werde zu wenig Geld für Kreation ausgegeben. Bei Budgets liege der Mediaanteil durchschnittlich bei etwa 90 Prozent, der von Kreation nur bei zehn Prozent, die Schere müsse sich zumindest ein Stück weit schließen. Ein starkes und mutiges Statement, das sicher nicht alle Mitglieder der Organisation der Mediaagenturen (OMG), der Pilot ja angehört, so unterschreiben würden.
Blockchain: erst 2022 praxisrelevant
Und tatsächlich, das machte das DMI-Treffen klar, sind die technischen Möglichkeiten noch längst nicht so reif für die Praxis wie es häufig scheint – auch das unterstreicht wie wichtig der Appell von Nann und Menz ist: Eine funktionierende Blockchain-Infrastruktur etwa werde es erst im Jahre 2020 geben, prognostizierte Ingo Rübe, CEO des auf Blockchain spezialisierten Start-Ups BOTlabs. Erste echte Produkte auf dieser Technologie seien erst für 2022 zu erwarten. Genug Zeit also, damit Unternehmen erst einmal die grundlegenden Voraussetzungen schaffen, um hier einsteigen zu können. Dazu gehört es eben auch, die internen Daten zusammenzuführen. „Noch liegen die häufig in völlig unterschiedlichen Tools, das verzögert Projekte um Monate“, so Stefan Knocke, Chef von Gundlach Seen Media.
Doch das DMI-Treffen in Düsseldorf war mehr als nur ein (endlich mal) realistischer Blick in die technologische Zukunft: Nann etwa unterstrich, dass DOOH „das letzte kollektive Erlebnismedium“ sei. Und, dass es echte Marken schaffe. Wie Parship mit seinem Claim „Alle elf Minuten verliebt sich ein Single über Parship“ – inzwischen von einigen Marken („Alle elf Minuten verliebt sich ein Single über Astra“) gekapert. Ob der Idee tiefgreifende Big Data Analytics zugrunde lagen oder es sich hier gar um Algorithmus basiertes Storytelling handelt, ist allerdings (noch) nicht bekannt.