“Ein heilsamer Schock”

Der Aufbau einer Arbeitgebermarke gewinnt auch in der DOOH-Branche zunehmend an Bedeutung. Prof. Dr. Claas Christian Germelmann über die sogenannte “Distinktion” beim Employer Branding, die Rolle der jeweiligen Firmengeschichte dabei und die falsche Ansprache potenzieller Bewerber:innen.

Vor einigen Wochen war Prof. Dr. Claas Christian Germelmann einer der Top-Speaker des Employer Branding Symposiums von Viewento, nach eigenen Angaben führender Vermarkter von digitalen Werbeflächen im LEH. Prof. Dr. Germelmann, der zudem eine Managementberatung betreibt, plädierte hier für mehr Distinktion im Employer Branding. „Nur über Distinktion können sich Unternehmen abheben“, so sein eindringlicher Appell. Das sagt sich so leicht, aber wie funktioniert das in der Praxis? Was sind die Mittel und Wege, um die High Potentials – vor allem auch in der DOOH-Branche – zu erreichen? Wir haben nochmal nachgefragt.

Herr Prof. Dr. Germelmann, ich habe den USP immer als den heiligen Gral im Marketing und letztlich auch im Employer Branding verstanden. Sie kommen jetzt mit Distinktion. Ist das nicht einfach die etwas gespreiztere Begrifflichkeit für dasselbe?

Prof. Dr. Claas Christian Germelmann: Nein, das ist ein häufiges Missverständnis – da geht es Ihnen wie vielen. Zur Abgrenzung: Ein USP ist in der Regel ein technischer, technologischer Fortschritt. Denken Sie nur an das 5-Klingensystem von Gillette oder den E-Antrieb von Tesla. Die Zeit spielt immer gegen einen solchen USP, weil er schnell kopiert werden kann. Distinktion ist etwas völlig anderes: Hier schaffen Unternehmen einen eindeutigen Wiedererkennungswert für sich – auch im Bereich Employer Branding. Basis dafür ist, dass Unternehmenskultur und das Handeln auf allen Märkten, die die Stakeholder tangieren, ein in sich ebenso homogenes wie individuelles Bild ergeben. Das Ziel ist: Ein Unternehmen, das nach Distinktion strebt, muss aus der Masse der Wettbewerber herausstechen – es muss Markenkapital wie Slogans, Bilder oder Designs haben, das die Marke merkfähig macht und die bei jedem Kontakt erfahrbar werden.

Wahrscheinlich nennen Sie jetzt Apple als Beispiel …

Germelmann: Auch. Aber denken Sie nur an den Smoothies-Anbieter true fruits und seine respektlosen Werbekampagnen. Diese freche, skandalprovozierende Haltung, die jede Werbung sofort erkennbar macht, strahlt auch auf das Employer Branding ab. Wahrscheinlich wird sich hier keiner bewerben, der insgeheim mit einer Karriere im Finanzamt liebäugelt. Doch diejenigen, die sich durch die Kampagnen (indirekt) angesprochen fühlen, fühlen sich pudelwohl im Unternehmen. Und so ist es kaum überraschend, dass beispielsweise der kununu-Score von true fruits deutlich über dem Branchendurchschnitt liegt.

“Warum gibt es mich als Unternehmen?”

Im DOOH-Markt konkurrieren wiederum vielfach Unternehmen mit einem grundsätzlich vergleichbaren Leistungsangebot. Wo ergeben sich aus Ihrer Sicht Anknüpfungspunkte, um eine solche Distinktion im Employer Branding zu erreichen?

Germelmann: Ich glaube, im ersten Schritt muss sich jeder klarmachen, dass er auf zwei unterschiedlichen Märkten aktiv ist: Talente – die wollen auch die örtliche Strategieberatung und globale Player wie Amazon. Das ist gut und schlecht zugleich: Der potenzielle Bewerbermarkt ist viel größer, als man vielleicht ursprünglich angenommen hat, die Zahl der Konkurrenten allerdings auch. Deshalb muss sich jeder zuerst die Frage stellen und auch beantworten können: Warum ist es viel interessanter, für die digitale Außenwerbung zu arbeiten als für andere Branchen? Und dann geht es natürlich im zweiten Schritt um das Unternehmen selbst: Was biete ich an Benefits? Welche Unternehmenskultur habe ich? Wie weit reicht mein technologischer Vorsprung? Und auch ganz grundsätzlich: Warum gibt es mich als Unternehmen?

Ihre Erfahrung: Kann eine solch fundamentale Frage jeder Unternehmer aus dem Effeff beantworten?

Germelmann: Nein, häufig nicht.

Und dann?

Germelmann: Ich rate dann, das Unternehmen zu verkaufen. Wenn es nichts gibt, was man als Unternehmer anders macht als die Mitbewerber, nichts, womit man – Distinktion! – aus der Masse heraussticht, ist eine Veräußerung die im Sinne der ökonomischen Effizienz konsequente und dauerhaft einzige Lösung.

Wie deprimierend!

Germelmann: Nein, im Gegenteil. Diese bewusste Provokation ist ein heilsamer Schock. Weil Firmenchef:innen dann wirklich ins Grübeln geraten. Was ist meine individuelle Firmengeschichte? Was zeichnet uns aus? Am Ende eines solchen Prozesses stehen meist belastbare Unternehmensbeschreibungen, die über die klischeehaften, austauschbaren Adjektive wie „innovativ“ hinausgehen.

Geht das auch ohne externe Beratung?

Wollen Sie von einem externen Managementberater wirklich eine ehrliche Antwort darauf?

Ich hatte darauf gehofft …

Das wird sehr schwierig, weil Unternehmen bei einem solchen Prozess häufig den externen Sherlock Holmes-Blick brauchen, um zu erkennen, was sie wirklich abhebt und wie sie Distinktion erlangen.

Es braucht den externen Sherlock Holmes-Blick

Sie sprechen von einem Prozess: Wie sieht der aus?

Wir beginnen damit, Schlüsselpositionen, interne Multiplikatoren beziehungsweise Markenbotschafter zu identifizieren. Mit einem größeren Kreis führen wir dann qualitative Interviews über alle Ebenen hinweg – vom Hausmeister bis zum Vorstandsvorsitzenden. Und da geht es eben genau um solche Fragen, die wir hier angesprochen haben: Warum arbeitest Du hier? Würdest Du Deinen Arbeitgeber empfehlen? Was zeichnet das Unternehmen aus? Und, und, und. So erfahren wir Charakteristika, die wertvoll für das Unternehmen sind und es wiedererkennbar machen. Die Ergebnisse werden von uns aufbereitet und in einem Steuerungskomitee besprochen. So schärfen wir Schritt für Schritt die Positionierung und schaffen eine Abgrenzung zu Mitbewerbern: Über Differenzierung, wo das möglich ist, vor allem aber über das Markenkapital an Elementen wie Logos, Claims, Stories und Menschen, also alles, was das Unternehmen abhebt – mithin also Distinktion. Die Ergebnisse wiederum werden rasch in die einzelnen Abteilungen getragen. Das schafft nicht nur Transparenz, sondern erhöht vielfach die Identifikation mit dem Arbeitgeber, weil viele gedanklich den Prozess nochmal durchgehen, warum sie genau hier arbeiten.

Wie lange muss man dafür einplanen? 

Alles unter ein, zwei Monaten wäre unrealistisch.

Aber viele Unternehmen, auch in der DOOH-Branche, suchen ganz aktuell jetzt. Was raten Sie denen?

Viel hängt davon ab, inwieweit der Dreiklang im Employer Branding schon beachtet wurde. Der besteht aus drei Tönen: Mitarbeiter:innen gewinnen, binden und begeistern. Wer ein begeistertes Team hat, kann low budget starten – mit Incentive-Programmen für Mitarbeiter:innen, die neue Kolleg:innen werben. „Bring a talent“ ist die Devise.

Worst Case: Alles nicht vorhanden. Und dann?

Dann kann in einem ersten Schritt massive Reichweitenwerbung wirklich ein probates Mittel sein. Im ersten Schritt ist aus meiner Sicht dabei Reichweite wichtiger als Kontakthäufigkeit, weil die Zielgruppe häufig viel weniger klar umrissen ist, als die meisten Unternehmen glauben. Alle zielen in der Ansprache doch auf die Genz Z, vernachlässigen aber den Wunsch älterer Arbeitnehmer nach einem Wechsel. Weil bei vielen die Wechselbereitschaft allerdings nur latent vorhanden ist, muss die Einstiegshürde hier möglichst niedrig sein. Das impliziert einfache Botschaften und Kommunikationskanäle direkt im Alltag der potenziellen Bewerber:innen – häufig also auch digitale Außenwerbung, weil die an ganz unterschiedlichen Stellen im Lebensumfeld der Menschen stattfindet.

Gewinnen, binden, begeistern

Sie sprechen von einem Dreiklang im Employer Branding: Mitarbeiter:innen gewinnen, binden, begeistern. Eine Umfrage der Agenturberatung Müllers Garage kam neulich zu dem Schluss, der Generation Z sei in der Kommunikationsbranche Gehalt viel wichtiger als sinnvolle Arbeit. Ist die Diskussion um Homeoffice, 4-Tage-Woche, Work-Life-Balance nicht eigentlich obsolet, weil die jungen Talente viel pragmatischer sind?

Ein angemessenes Gehalt ist ein Hygiene-Faktor wie auch eine faire Homeoffice-Regelung. Ohne das geht es gar nicht mehr. Die Frage ist viel mehr: Was kommt on top?

Ja, was denn zum Beispiel?

Was bietet mir mein Arbeitgeber, um mein Leben wirklich im Gleichgewicht zu halten – etwa, wenn ich meine kranken Eltern pflegen muss. Hier braucht es echtes individuelles Entgegenkommen. Wertschätzung eben.

Diesen Post teilen

The North Face-2
Google_DOoH-Zeitgeist_Visual-4